Martelltal: Geschichte & Wirtschaft
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Die historische Entwicklung, Landwirtschaft, Energie und Tourismus im Martelltal am Ortler.

Martelltal

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Allgemeines & Spezielles

Das Martelltal zeigt in seiner Geschichte und der Wirtschaft ein typisches Beispiel für ein abgelegenes Seitental des Vinschgau. Späte, organisierte Besiedlung, Bergbau, karge Landwirtschaft mit wenig Ackerbau und viel Viehzucht, früher Tourismus und spätere Hinwendung zum Obstanbau sind typisch für die hochgelegenen Täler der Region. Auch die Energiewirtschaft spielt mit dem Stausee im Martelltal eine Rolle.

Mehr über die Geschichte der gesamten Region Südtirol erfährst Du auf den Seiten zu > Südtirols Geschichte. Das Martelltal, an dessen Rand im Ersten Weltkrieg die Front verlief, ist auch hier ein typisches Beispiel für die Geschichte der Region.

Wirtschaftlich ist Martell heute eng an das Vinschgau angebunden. Auch hier durchdringen sich > traditionelle almbäuerliche Landwirtschaft, Tourismus und Obstanbau.

Geschichte

Die Besiedlung des Martelltals ist ab dem 11. Jahrhundert im Zuge der hochmittelalterlichen Höhenkolonisation organisiert worden. Chroniken zeigen, dass um 1340 bereits eine Gemeinde Martell existierte.

Diese Besiedlung bedeutete, dass bisher nur saisonal oder sporadisch benutzte Almgebiete in ganzjährig bewohnte Schwaighöfe umgewandelt wurden. Die Bauern wurden für die Schwierigkeiten bei der Urbarmachung mit dem Erbbaurecht belohnt. Damit wurde die im Hochmittelalter einsetzende Bevölkerungszunahme ausgeglichen und übervölkerte Zonen wurden entlastet. Der Hofname Greit lässt sich auf eine solche Rodung zurückführen.

Siedlungsschübe hat es nach zwischenzeitlichen Entvölkerungen in Pestzeiten gegeben sowie ab dem 15. Jahrhundert durch Bergknappen, die anfänglich privat leicht zugängliche Lagerstätten ausbeuteten. Um 1650 holten die Grafen Hendl gut ausgebildete Knappen aus Schwaz.

Nicht alle Bergknappen verließen nach Auflassen der Schürftätigkeiten um 1800 das Martelltal. Viele blieben mangels Alternativen als verarmte und verachtete Kleinhäusler und verdienten sich durch handwerkliche Tätigkeiten wie Korbflechten, Drechseln oder als Fassbinder neben den Tätigkeiten als Tagelöhner auf den Bauernhöfen ein Zubrot.

1427 existierten in Martell 50 Haushalte. 1847 wurden erstmalig 1000 Einwohner gezählt.

Martelltal

Wanden & Trekking. Bergbau

1448 wird der Bergbau in Martell das erste Mal urkundlich erwähnt. Im Laufe der Zeit wurde an vielen Stellen im Tal geschürft. Viele eingestürzte Stollen zeugen davon. Die ergiebigsten Lagerstätten lagen in den Saltgräben und im Pedertal.

Erst mit der Schaffung eines eigenen Tiroler Bergbauamtes in Imst um 1540 wurde der wilde Abbau Regeln unterworfen. Ab 1650 ließen die Grafen Hendl aus dem Vinschgau die Gebiete um Latsch, Morter, Goldrain und Martell systematisch nach Erzlagerstätten absuchen. Erbeutet wurde Kupfer, Eisen und Silber.

Die Erze wurden in Stampfwerken und Schmelzhütten in Morter, in Ennewasser und in der Schmelz verarbeitet. In der angeblichen Goldgrube im Pedertal, um die sich im Volksmund hartnäckig die abenteuerlichsten Gerüchte ranken, wurden bei Probegrabungen 1910 Kupfer, Eisen und Schwefel, aber kaum Gold gefunden.

Für die seelsorgerische Betreuung der Bergknappen ließen die Grafen Hendl 1711 in der Schmelz eine Kapelle errichten, die 1894 im neugotischen Stil erneuert wurde.

Die Schürftätigkeiten dauerten bis 1800. Die alte Gruebhütte wurde in den 1930er Jahren von jener Gesellschaft angekauft, die das Hotel Paradies erbaute. Daraus wurde das Schutzhaus Borromeo.

Die Marteller Bevölkerung selbst hatte vom Bergbau kaum einen wirtschaftlichen Nutzen.

Wanden & Trekking. Erster und zweiter Weltkrieg

Im Ersten Weltkrieg verlief die Front ab dem Mai 1915 auf den damals noch stärker vergletscherten Bergkämmen des Cevedale. Eine etwa 700 Mann zählende Besatzung war auf Zufall stationiert. Ein Relikt dieser Zeit ist eine von den Soldaten erbaute Kapelle auf Zufall.

Immer wieder gab es Gerüchte über eine Evakuierung der Einwohner. Wie für die gesamte Südtiroler Bevölkerung waren die Angliederung Südtirols an Italien und die danach folgenden Maßnahmen der faschistischen Verwaltung auch für die Marteller bedrückend und entmutigend. Bei der Option 1939 optierten von den 1175 Einwohnern 1100 für Deutschland. Vor Ausbruch des Krieges wanderten 290 von ihnen, vorwiegend Besitzlose und Dienstboten, aus.

Der von der italienischen Regierung 1935 eingeführte Nationalpark Stilfser Joch versetzte die Bergbewohner in große Angst, weil sie dadurch eine schwere Beeinträchtigung ihrer bisherigen Lebens- und Wirtschaftsweise befürchteten.

Wanden & Trekking. Muren, Gletscherseeausbrüche, Flutwellen

Durch das im 19. Jahrhundert viel stärker vergletscherte Einzugsgebiet waren nicht nur Starkregen oder Schneeschmelze die Ursachen für Murenabgänge. Die oft unbemerkt heranwachsenden Gletscherseen jagten nach ihrem Ausbruch gewaltige Wellen durch das Tal. Bauwerke, Wege und Brücken wurden mitgerissen.

Im August 1987 hatten ungewöhnlich starke Regenfälle landesweit zu Vermurungen geführt. Auch im Martelltal waren die Regenmengen enorm und hatten den Zufritt-Stausee bis an den Rand gefüllt. Der (gegen die Vorschriften) allein arbeitende Schleusenwärter öffnete auf Befehl seiner Vorgesetzten in der Nacht die Tore desStausees, um Wasser abzulassen. Technische Probleme – angeblich auch ein Stromausfall – verhinderten die Schließung der Schleusen während der folgenden Stunde. Eine Flutwelle schoss talwärts, riss in der Gemeinde Martell 16 Häuser mit sich und zog eine Spur der Verwüstung bis in die Latscher Industriezone.

Trotz der gewaltigen Schäden gab es überraschenderweise weder Verletzte noch Tote. Die Einwohner konnten gerade noch rechtzeitig evakuiert werden. Die Kraftwerksgesellschaft wurde für schuldig befunden, diese Katastrophe mit verursacht zu haben.

Brücke Martelltal

Wanden & Trekking. Sakralbauten

Vermutet wird die Existenz einer Walpurga-Kapelle um 1203. Die Walpurgiskirche, die ursprünglich romanisch war, wurde mehrmals – zuletzt 1759 – umgebaut.

In der Schmelz, bei der Hintermartell beginnt, standen früher Gebäude und Schmelzöfen für die Erzgewinnung. 1911 wurde die Kapelle St. Maria in der Schmelz für die Bergknappen erbaut.

Auf Zufall waren es Soldaten im Ersten Weltkrieg, die dort die Kapelle errichteten.

Wanden & Trekking. Das Hotel Paradiso del Cevedale

Hinter dem Stausee steht auf einer Meereshöhe von 2.160  m eine Bauruine, das ehemalige Luxushotel Paradiso, das zwischen 1933 und 1935 auf Initiative des faschistischen italienischen Fremdenverkehrsministeriums von einer Aktiengesellschaft erbaut worden war.

Der für die Umgebung ungewöhnliche Stil, bei dem der Architekt Elemente des Novecento und der Moderne verband, sollte dem Geschmack der Führer des Finanz- und Industriesektors sowie der faschistischen Parteigrößen entsprechen. So erfolgte hier eine Stein gewordene Machtdemonstration der Italianità und des neuen Regimes. Die Marteller mochten das Hotel von Beginn an nicht, weil ihre Kühe dort nicht mehr weiden durften.

Das Sport- und Luxushotel mit Rundumversorgung (250 Betten, Post, Telegraphenamt, Friseur, Masseur, Skilehrer, Sauna ...) für betuchte Gäste durfte sich nur einer kurzen Blüte erfreuen. Im Winter fanden sich hier bevorzugt deutsche und im Sommer italienische Gäste ein.

1943 wurde das Hotel Paradiso von der Deutschen Wehrmacht belegt und diente als Urlaubsstützpunkt für Soldaten (z.B. für Angehörige der Division Brandenburg nach der Befreiung Mussolinis).

Obwohl sich das Hotel gleich nach dem Zweiten Weltkrieg eines regen Gästeaufkommens erfreute, ging es 1946 in Konkurs. 1952 erwarb es der venezianische Reeder Benati, ließ den ehemals grünen Bau rot streichen und erweiterte das Hotel durch verschiedene Zubauten. 1955 änderte Benati seine Pläne und überließ das Hotel in unfertigem Zustand seinem Schicksal. Es wurde anschließend all seines Inventars beraubt. 1966 wurde der Komplex von den Eignern der Brauerei Forst erworben.

Siehe auch > Geschichte Südtirols

Wirtschaft

Wanden & Trekking. Landwirtschaft, Obstanbau

Bis in die 1960er Jahre waren Ackerbau und Viehwirtschaft die dominierenden Einnahmequellen im Martelltal. Die Bauern waren Selbstversorger, die Felder, Wiesen und Almen so intensiv wie möglich nutzten, um mit dem kärglichen Ertrag über die Runden zu kommen.

Trotz der hinterwäldlerischen Lage waren die Bergbauern offen für technischen Fortschritt (1910 Dreschmaschine, ab 1920 Materialseilbahnen) oder neue Ideen (1928 Viehversicherung).

Ein Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung im Martelltal war die schlechte Erreichbarkeit. Ein schlecht befahrbarer Talweg ging nur bis Bad Salt. Die Marteller mussten bis 1934 auf eine funktionierende Talstraße warten.

Ziegenbock

Damals wurde in Hintermartell mit dem Bau des Hotels Paradiso begonnen, bei dem über 100 Arbeitskräfte eingesetzt waren. Im Hotelbetrieb selbst gab es für die Dorfbevölkerung zwar kaum Arbeitsmöglichkeiten (wegen der mangelnden Sprachkenntnisse), wohl aber Absatzmöglichkeiten für ihre bäuerlichen Produkte.

Mit dem Bau der Staumauer und der Wasserstollen in den 1950er Jahren wurde die Infrastruktur zwar verbessert, die Bauern mussten aber oft ihre besten Almgründe für diesen Zweck opfern.

In den 1960er Jahren ging der Kornanbau zurück. Er wurde durch die Grünlandwirtschaft und durch Sonderkulturen ersetzt, auf denen einige Pioniere Beerenfrüchte (Johannisbeeren, Erdbeeren, Himbeeren) und Gemüse anzubauen begannen. Sie verbesserten Jahr für Jahr ihre Produktions- und Vermarktungsmethoden. Anfangs wurden die Beeren von den Bauern direkt an Händler und an Getränkefabrikanten verkauft. Zunehmende Konkurrenz aus Rumänien erzwang die Vermarktung über die Großmärkte in Innsbruck und München, wo die Beeren sehr beliebt waren.

Nicht immer verlief die Vermarktung glatt. Es fehlten Lagerräume und Kühlzellen, Probleme, die am ehesten genossenschaftlich zu lösen waren. 1989 wurde von 9 Bauern die MEG (Marteller Erzeugergenossenschaft) gegründet, die ab 1992 die Vermarktung übernahm und 1994 das neue Genossenschaftsgebäude mit Kühl- und Lagerräumen, Büro und Handelsgeschäft eröffnete. Jährlich findet das Marteller Erdbeerfest als Auftakt zur Erdbeerernte statt. Das Martelltal ist mittlerweile zur Hochburg des Erdbeerbaus in Südtirol avanciert, in der die Erdbeeren in Höhen zwischen 900 m und 1.700 m Höhe angebaut werden.

Wanden & Trekking. Tourismus

Zufallhütte

Der Alpintourismus setzt im Ortlergebiet und dem Martelltal ab Mitte des 19. Jh. ein. Auf Zufall wird 1882 von der Sektion Dresden des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins eine Schutzhütte gebaut. Sie verfügt über 20 Matratzenlager im Erdgeschoss, 20 Heulager im Dachgeschoss, ein Zimmer mit 4 Betten und eine Küche. Sie wird in den Jahren 1912 und 1913 erweitert und beherbergt während des Ersten Weltkrieges die Abschnittskommandatur der Cevedale-Front des Österreichischen Heeres.

1921 übernimmt der italienische Alpenverein CAI die Zufallhütte und renoviert sie. Sie bekommt den Namen Rifugio Dux und heißt ab 1939 Rifugio Nino Corsi, nach einem bei einem Bergunfall ums Leben gekommenen italienischen Bergsteiger.

Badebetrieb

Bad Salt verzeichnet vor dem Ersten Weltkrieg viele Gäste, sodass ein Komplex mit Gasthaus und Badehäusern entsteht. Die Heilquelle liegt in den Saltgräben auf 1.730 m und ist nur über einen 2-stündigen Fußmarsch erreichbar. Das Wasser ist leicht mineralhaltig und färbt das Bachbett rot. Es enthält Eisen, Mangan und Spuren von Arsen, Barium, Jod, Lithium und Zink. Das Wasser wird anfangs über lange Holzleitungen zu Tal befördert, die jedes Jahr im Frühling instand gesetzt werden müssen. Der offizielle Badebetrieb wird bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eingestellt.

Der moderne Bergtourismus im Martelltal

Das Martelltal zieht nach dem Ersten Weltkrieg bald wieder Alpinisten an, die vor allem von der Gletscherlandschaft im Talschluss fasziniert sind. Darunter ist auch der o.g. Großindustrielle Emilio Penatti, der plant, hier ein Luxushotel zu errichten.

Der Betrieb des Hotels Paradiso ist für die Marteller ein eher misstrauisch beäugtes Spektakel, das kaum als Beispiel für eine mögliche touristische Erschließung des martelltals gesehen wird. Das Hotel sichert dem Tal aber eine gewisse Bekanntheit und sorgt dafür, dass der Zustrom der Bergtouristen auch nach dessen Schließung anhält. Für deren Beherbergung sorgen nun aber die Marteller selber.

1950 wird der Verkehrsverein gegründet. Der sommerliche Tourismus entwickelt sich und die Übernachtungszahlen steigen nach und nach.

Im Winter setzt das Martelltal auf Langlauf und Rodeln, statt auf Liften und Pisten. So ist Martell im Winter ein besonderer Tipp für Skitourengeher. 1980 wird die Martellerhütte erbaut und 2007 erweitert. Martell verzeichnet im Geschäftsjahr 2008/09 gut 60.000 Übernachtungen.

Literatur, Führer, Karten ...

... siehe > Literatur Martelltal

... siehe > Literatur Geschichte Südtirol

... siehe > Literatur Dolomiten & Südtirol